Die scheinbar einfache Frage ‘Wo kommst du her?’ versetzt mich in Panik, ich fühle mich ausgegrenzt und ‚ge-othered‘, und versuche mir vorzustellen, was die Person hören möchte und wie ich am einfachsten wegkomme – ohne unehrlich sein zu müssen und später ertappt zu werden. Denn wer interessiert sich schon dafür, dass ich mich selbst weder wirklich als das Eine noch als das Andere empfinde und völlig ‘entwurzelt’ bin?

Europa

Im mitteleuropäischen Normalfall ist die Antwort “aus Deutschland” nur selten zufriedenstellend und meist wollen die Leute nur wissen was für eine “Rasse” ich bin, fragen dann: “Nein, wo kommst du wirklich / ursprünglich her?” (Stichwort: Microaggressions und Alltagsrassismus) und lassen sich schnell damit abspeisen, wenn ich sage, dass meine Mutter aus China kommt. Dabei bin ich weder in China geboren, noch ist meine Mutter Chinesin. Mittlerweile ist sie, zumindest rechtlich betrachtet, Deutsche. Manchmal fangen die Leute dann an mich über die chinesische Kultur vollzulabern, ohne, dass jemals etabliert wurde, ob ich mich in der Kultur auskenne oder nicht, oder jemals dort gelebt habe. Liebe Freundinnen und Freunde: Ethnie ungleich Kultur ungleich Herkunft.
Anmerkung: Ich kenne genug chinesisch-stämmige Menschen in Europa, die selbst nie und deren Eltern nie in China gelebt haben. Und andersherum kenne ich auch AsiatInnen in China, die nicht ethnisch chinesisch sind.

Auf die einfache Gegenfrage was mit ‘Wo kommst du her?’ gemeint sei, bekomme ich oft ungehaltene, fast wütende Reaktionen. Ob ich nicht verstünde was das bedeute, ich alles nur verkompliziere, man nicht mehr fragen dürfe (darf ich dann auch fragen was genau gemeint ist?), “Na, aus welchem Land halt!”, “Na, sag schon!”, “Deine WURZELN!” (Kann mir bitte jemand erklären was Wurzeln sein sollen? Bin ich etwa ein Baum?). ‘Oh Verzeihung, ich wusste nicht, dass du Rassist bist’ denke ich mir dann und antworte entweder gar nicht oder versuche höflich zu bleiben. Wenn jemand unbedingt nur wissen möchte welche “Rasse” ich bin, soll diese Person doch einfach danach fragen. Traut sich aber niemand.

Ist es denn wirklich so wichtig sich von einem anderen Menschen durch die eigene Herkunft oder Hautfarbe abzugrenzen? Und diesen Menschen somit auszugrenzen? Ja, ich weiß, es ist ‘nur’ eine unschuldige Frage und mein Gegenüber kann sich vor Neugier und Interesse kaum halten, denn es hat noch nie jemanden mit einer anderen Hautfarbe getroffen und muss sofort wissen welche “Rasse” ich bin, weil scheinbar nur das allein wichtig ist und mich als Menschen ausmacht.

Dann gibt es andererseits diejenigen, die das schon verstanden haben, dass der Großteil meiner Identität eventuell nicht viel mit meiner Ethnie zu tun hat. Da werde ich dann, anhand meiner Sprache, von Menschen aus den österreichischen Bundesländern als Wienerin enttarnt, von WienerInnen als Deutsche und von Deutschen als Österreicherin. Und so schließt sich der Kreis.

Asien

Wenn ich dann in Asien bin bzw. im sogenannten ‘Greater China’ – im Raum Großchina, dreht sich der ganze Spieß um. Sobald ich auf neue Menschen treffe, werde ich wieder unmittelbar gefragt, woher ich komme. Warum, kann ich nicht genau verorten. Mag wohl an meiner Aussprache, meiner Begleitung, meiner Kleidung, meinem Verhalten oder der Situation liegen. In Shanghai behaupte ich, ich sei aus Shenzhen oder Hong Kong (ganz im Süden von China) und in Shenzhen und Hong Kong behaupte ich, ich sei aus Shanghai (Wobei ich in Hong Kong in letzter Zeit versuche die Menschen davon zu überzeugen, dass ich aus Hong Kong oder aus den USA oder sonstwo bin, alles nur nicht Mainland). Meistens ist es damit getan und mein Gegenüber kann sich damit begnügen über die Dinge zu reden, die es von dort gehört hat oder dort erlebt hat.

Falls mein Gegenüber doch etwas aufmerksamer und bereister sein sollte, ist es mit einem “Ich bin im Ausland aufgewachsen” meist auch getan (die Meisten denken dann: Amerika! …Oder anderes Asien). Oft werde ich auch direkt gefragt ob ich aus Japan sei, bzw. wurde mir bereits des Öfteren attestiert, ich sei aus Japan. Aha! Danke, jetzt weiß ich Bescheid. Warum dieser Opportunismus, fragt ihr euch? Mit meinen anfänglichen Versuchen zu erklären ich sei ‘aus Deutschland’ hatte ich wenig Erfolg. Meistens hat sich mein Gegenüber dann auf den Arm genommen gefühlt, mir geradeheraus widersprochen “Dort gibt es keine Chinesen, dort gibt es nur Deutsche!” (Ja, aber ich bin doch auch irgendwie Deutsche…) oder mich gefragt, wo in China das denn sei. Um es in Emoji-Sprache auszudrücken: Facepalm.

Gehe ich nun in Wien zu meinem ‘chinesischen’ Friseur, und erzähle ihm ich sei aus Shanghai und Shenzhen, attestiert dieser mir, dass ich genau das ausstrahlen würde. Auf die Frage ob ich hier aufgewachsen sei, antworte ich mit ‘Ja’, obwohl ich doch eigentlich in Deutschland aufgewachsen bin. Für ihn ist es aber vermutlich Ein und Dasselbe.

Irgendwo im Nirgendwo

Meine Wahrheit und Identität liegen wohl irgendwo dazwischen. Faktisch: Ich bin in Deutschland geboren und größtenteils aufgewachsen und habe in meiner Jugend in den USA und in Shanghai gelebt. Studiert habe ich in Wien, Hong Kong und London. Das mit den USA wissen nur die wenigsten. Warum? Weil ich nicht lang dort war und niemand danach fragt. Wobei auch schon Menschen gedacht haben, ich sei aus Amerika. Weil ich eine ‘verwestlichte’ Asiatin bin, die gut Englisch spricht und man diese nur aus den USA kennt? Ich freue mich jedenfalls schon auf das ausbrechende Chaos, wenn ich einmal anfangen sollte Englisch mit einem britisch-amerikanisch-deutschen Akzent zu sprechen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Letzten Endes bin ich darauf gekommen, dass ich mich am ehesten als ‘Third Culture Kid’ fühle. Wikipedia sagt dazu:

„Als Third Culture Kids (TCKs) oder Drittkulturkinder werden Kinder und Jugendliche bezeichnet, die in einer anderen Kultur aufgewachsen sind als ihre Eltern oder während ihrer Kindheit und Jugend oft umgezogen sind und dabei die Kultur gewechselt haben. Dadurch weisen sie besondere Charaktermerkmale und bestimmte Prägungen auf.“

Letztens meinte jemand zu mir: “Oh a TCK, did you get over the neverending identity crisis yet?” Das triffts ziemlich gut. Mein Dasein ist eine niemals endende Identitätskrise und ich scheine nirgendwo so richtig reinzupassen oder eine Heimat zu haben. Meine Antwort auf die Frage woher ich komme variiert von Situation zu Situation. Ich habe daraus gelernt, dass Identität etwas fluides, intersubjektives bzw. kontextabhängiges ist. Auf die Frage “Wo kommst du her?” werde ich die Orte aufzählen, an denen ich gelebt habe, bzw. den Ort an dem ich geboren wurde, die Antwort könnte auch sein “Aus dem Bauch meiner Mama”. Auf die Frage wo mein ‘Zuhause’ bzw. meine ‘Heimat’ ist, antworte ich mit Orten wo ich, meine Familie oder FreundInnen leben. Ich verstehe unter Heimat ein Gefühl, aber dieses Gefühl ist, sowie ich, mobil, nicht an einen Ort gebunden und fragmentiert.

Wenn jemand tatsächlich an mir und meinen Erfahrungen interessiert sein sollte, vertrage ich es meist besser, wenn Menschen mich fragen, wo ich aufgewachsen bin, welche Sprachen ich spreche, wo ich gelebt habe, wo ich studiert habe oder zur Schule gegangen bin. Am angenehmsten ist es, wenn es sich im Gespräch ergibt und ich von meinem Background erzählen kann, ohne mich unter ‘Druck gesetzt’ zu fühlen eine Antwort auf diese durchaus komplexe Frage haben zu müssen.

Den ersten Teil dieser Beitragsreihe findet ihr unter Identität #1: Warum wir [noch immer] über Rassismus sprechen müssen

 

Ist das nachvollziehbar? Kennt ihr das auch? Nervt nur mich das? Wie geht ihr damit um?