Mit Schrecken musste ich in den letzten Wochen mitverfolgen was sich in den USA abgespielt hat. Ich könnte weinen, schreien und kotzen wenn ich darüber nachdenke, was passiert ist und wie das Ereignis von der Exekutive und auch medial behandelt wurde und wird. Und wie Anti-asiatischer Rassismus trotz steigender Tendenz noch immer ignoriert wird und nicht als solcher erkannt wird. Ich bekomme regelrechte Panikzustände wenn ich beobachte, wie sich der Westen medial eine toxische Suppe kocht, die aus Corona-shaming, politischer Anti-China Stimmungsmache, und nicht zuletzt aus der Dehumanisierung und Fetischisierung asiatischer Menschen besteht.

Der Anschlag von Atlanta

In Atlanta wurden am 16. März 2021 acht Menschen Opfer eines rassistischen Anschlages– 6 der Opfer waren asiatische Frauen. Xiaojie Tan, Daoyou Feng, Hyun Jung Grant, Soon Chung Park, Suncha Kim, und Yong Ae Yue, Delaina Ashley Yaun und Paul Andre Michels kamen dabei ums Leben, während Elcias R Hernandez-Ortiz den Anschlag schwer verletzt überlebte. Bei dem Amoklauf überfiel ein 21 Jahre alter Mann drei Massagesalons in der Hauptstadt Georgias und sprach im Nachhinein von einer Sexsucht als Motiv, während der verantwortliche Polizeisprecher nach der Tat äußerte der Täter habe einen „wirklich schlechten Tag“ gehabt.

In den folgenden Tagen gingen in den USA tausende von Menschen auf die Straße um sich mit der asiatischen Community zu solidarisieren. Auch in Berlin fanden am 23. Und 28. März eine Mahnwache und eine Demo für die Opfer des Anschlags in Atlanta, organisiert von korientation, statt.

Rassistische Polizei und die Relativierung rassistisch motivierter Gewalt

Mal abgesehen davon, dass die USA ein absurdes und offensichtlich destruktives Waffenrecht haben, dass solche Anschläge überhaupt erst ermöglicht (siehe Anschlag von Boulder Colorado wenige Tage später und etliche Amokläufe in Schulen), wurde die rassistische Tat im Nachhinein vom zuständigen Polizeisprecher relativiert indem er behauptete der Täter habe “einen schlechten Tag” gehabt.
WTF?! Wenn ich einen schlechten Tag habe erschieße ich doch keine acht Menschen!

Im Nachhinein kam heraus, dass der Polizeisprecher in der Vergangenheit China-feindliche Posts à la Donald Trump Rhetorik veröffentlicht hatte. Ein weiterer Grund dieser oftmals rassistischen Institution die Mittel zu kürzen (Stichwort: Defund the Police) oder sie zumindest mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Das ist aufgrund von rechtsextremen und rassistischen Strömungen in der Polizei vor allem auch hierzulande dringend notwendig – dennoch Bundesinnenminister Horst Seehofer hat letztes Jahr eine Studie zu Racial Profiling in Deutschland abgelehnt.
Getreu dem Motto: Aus lauter Angst davor was alles ans Licht kommen könnte, schauen wir lieber nicht hin!

Medienversagen und toxische Narrative

In zahlreichen Nachrichtenmeldungen der Mainstream Medien wurde der Rassismus zum Teil gar nicht erwähnt beziehungsweise lediglich das Kommentar des Täters und des zuständigen Polizeisprechers wiedergegeben.

Die Opfer dieser grausamen Tat wurden in den Schlagzeilen schlichtweg übergangen und unsichtbar gemacht. Das zeigt wieder einmal wie Rassismus gegen asiatische Menschen oft gar nicht als solcher wahrgenommen wird und regelrecht normalisiert wird.

Wen solche Praktiken verwundern, der braucht nur mal einen Blick hinter die Türen US amerikanischer oder auch deutscher Redaktionen werfen. Laut Tagesspiegel hat inzwischen ein Viertel der deutschen Bevölkerung einen Migrationshintergrund, jedoch liegt der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund in dieser Branche bei vier bis fünf Prozent.

Anti-asiatischer Rassismus wird also unhinterfragt reproduziert oder auch zum Teil bewusst, aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, von den Medien und Repräsentanten westlicher Gesellschaften geschürt. Dabei sind vier toxische Narrative bzw. Vorurteile besonders präsent und ausschlaggebend.

Das toxische Narrativ “Asiatische Frauen sind Sexobjekte”, “Asiatische Männer sind nicht männlich” oder auch “Asiatische Menschen sind grundlegend fremd”

Oftmals scheint es zunächst wie eine Form von positiver Diskriminierung wenn jemand behauptet asiatische Frauen seien besonders begehrenswert. Dabei ist die Sexualisierung, Fetischisierung, Exotisierung, Objektifizierung und somit auch Dehumanisierung von asiatischen Frauen ein besonders toxisches Narrativ. Der Täter des Anschlags von Atlanta schien sich über seinen sexualisierten Rassismus nicht einmal bewusst als er von sich gab, dass seine Tat ‘nicht politisch motiviert’ gewesen sei. Das zeigt wie normalisiert und gefährlich diese Hyper-Sexualisierung von asiatischen Frauen ist.

Imperialistische Narrative in denen asiatische Frauen als Objekte der Begierde dargestellt werden, die erobert werden wollen oder denen es an Selbstbestimmung und eigenem Willen mangelt, sind tief in unserer westlichen Kultur verankert. Angefangen bei der Kunst und Literatur des frühen 20.Jhd. über Hollywood bis hin zur endlos streambaren Pornografie der Gegenwart, perpetuiert die westliche Medienlandschaft ein eindimensionales Bild von asiatischen Frauen. Geschichten wie die von Madame Butterfly, Miss Saigon, Suzie Wong oder auch die populäre Figur der Geisha sind bezeichnend für das westliche Narrativ von asiatischen Frauen, die oftmals entweder in der Rolle der Prostituierten oder der Verführerin erscheinen.

Auf der anderen Seite werden asiatische Männer oft als unmännliche Nerds dargestellt oder ins Lächerliche gezogen. Dieses Narrativ ist auch notwendig um den Mythos der ‘Model minority’ aufrecht zu erhalten. Der asiatische Mann darf hierbei Arzt, Ingenieur oder Programmierer sein, aber die Frau bekommt er nicht, denn das würde die Dominanz des weißen Mannes in Frage stellen.

Auch in zahlreichen Hollywood-Filmen wie z.B. Full Metal Jacket, Platoon, Austin Powers, oder Mean Girls werden diese Vorurteile unhinterfragt reproduziert. Der Blick nach Hollywood zeigt auch wie asiatische Rollen oftmals von weißen Schauspielenden besetzt werden (engl. whitewashing) was zusätzlich dazu führt, dass asiatische Menschen im öffentlichen Leben unsichtbar gemacht werden. Zahlreiche Videos, die ihr hier, hier und hier findet beschreiben das Phänomen.

Atlanta ist kein Einzelfall. Diese Art von Dehumanisierung schafft ein Klima in dem physische und verbale Gewalt akzeptabel erscheinen. Laut dem National Network to End Domestic Violence in den USA erleben 41-61% der asiatischen Frauen physische oder sexualisierte Gewalt – deutlich mehr als andere Bevölkerungsgruppen. Zudem sind die Täter bei derartigen Übergriffen statistisch gesehen meist nicht-asiatisch.

Auch in Deutschland und Europa erleben asiatische Frauen immer wieder sexualisierten Rassismus. Dieses Fass will ich gar nicht aufmachen, sonst sitze ich hier nach drei Tagen noch und kotze darüber ab was für bescheuerte und schreckliche Dinge ich schon erlebt habe und mir anhören musste – und wie ekelhaft ich das Ganze finde. #MeToo

Die Story vom “Chinesischen Virus”

Nicht zuletzt haben im letzen Jahr suggestive Schlagzeilen und Titelbilder über das Corona Virus, die asiatische Menschen abbilden, Anti-asiatischen Rassismus geschürt und dazu geführt, dass die asiatische Bevölkerung im Westen gehäuft Übergriffen und Anfeindungen ausgesetzt waren. Eine Sammlung dieser Schlagzeilen findet ihr in einem Beitrag von korientation.

Natürlich habe ich das auch selbst erlebt und habe auch zahlreiche FreundInnen und Bekannte, die von solchen rassistischen Handlungen im Kontext der Pandemie betroffen waren.

Politische Propaganda mit “China als Systemfeind des Westens”

Darüber hinaus hat Trump in den letzten Jahren fleißig gegen China gewettert und einen Handelskrieg angezettelt, und die EU hat China 2019 offiziell zum ‚System Rivalen‚ gemacht. Zudem lassen zahlreiche zum Teil plakative Medienberichte über Menschenrechtsverletzungen in China überhaupt keinen Raum mehr für einen rationalen und strukturierten Diskurs über das wirtschaftliche und politische System Chinas. Egal um welchen Aspekt des Landes es gerade gehen mag, der ‘Whataboutism’ beim Thema China ist im Westen allgegenwärtig. Mal davon abgesehen, dass das keine produktive Diskussionskultur ist, entgehen dem Westen dadurch viele Ressourcen und Chancen sich künftig im Hinblick auf Chinas ökonomischen Aufstieg strategisch und durchdacht zu positionieren.

Als chinesisch-stämmige Person werde ich oft genug von meinem Gegenüber unfreiwillig zur Pressesprecherin der chinesischen Regierung gemacht und regelrecht verhört, was ich denn zur Politik Chinas zu sagen hätte. Dabei habe ich oft das Gefühl, dass es meinem Gegenüber nicht wirklich darum geht zu verstehen worum es geht, sondern die Diskussion einen subtilen Ausgrenzungsmechanismus darstellt. Das ist einfach nur anstrengend und vor allem erschreckend wie sich auch viele gebildete Menschen in Europa dieser politisierten Rhetorik anschließen um letzten Endes Rassismus zu legitimieren.

Dieses Narrativ ist keineswegs nur rechtschaffen und harmlos. An einer Imbissbude in Kreuzberg hatte ein CDU Politiker einen vietnamesischen Imbiss-Mitarbeiter beschimpft. Unter anderem gab der Politiker von sich in der „Bundesrepublik Deutschland“ seien „Chinesen“ nicht erwünscht „Sie leben in einer Diktatur – warum sind Sie jetzt hier?“ und warf mit einer Plastikflasche gefüllt mit Soße. Wenn man sich ansieht was für Menschen unser Land regieren dürfen, scheint es im Hinblick auf Anti-Rassismus wirklich trostlos.

Der Mythos der “Model Minority”

Nicht zuletzt aufgrund des ‘Model Minority’ – Labels, also asiatische Menschen als vorbildliche Modell- oder Vorzeigeminderheit auszuzeichen, bleibt Anti-asiatischer Rassismus oftmals unerkannt und wird kaum thematisiert. Asiatische Menschen gelten oftmals als ‘gut integriert’ bzw. assimiliert und ‘fleißig’, sodass oft leichtfertig gesagt wird, dass Anti-asiatischer Rassismus gar nicht existiert. Mal davon abgesehen, dass asiatische Menschen genauso Ziel physischer und verbaler Übergriffe sind, werden repräsentative Positionen im öffentlichen Leben nach wie vor nur selten von asiatischen Menschen besetzt.

Gleichzeitig schafft dieses Narrativ einen Graben zwischen der asiatisch-stämmigen Minderheitsbevölkerung und anderen Minderheiten, denn oft wird damit anderen Minderheiten vorgeworfen, dass “sich die asiatische Minderheit doch auch integrieren kann und sich nicht beschwert”.
Aus Angst um die eigene gesellschaftliche Position bzw. das eigene Privileg (was aus dem Vorurteil besteht angepasst und arbeitsam zu sein) oder auch aus Angst negativ als ‘migrantisch’ aufzufallen, wird es unter anderem auch dadurch vielen asiatischen Menschen schwer gemacht sich zum Thema Rassismus zu äußern. Leider führt diese gesellschaftliche Spaltung zwischen Minderheiten zu zusätzlichen Spannungen und mangelnder Solidarisierung unter den unterschiedlichen Minderheitsgruppen. ‘Divide et impera’ oder auch ‘divide and conquer’ wie es so schön heißt und schon im Römischen Reich praktiziert wurde.

Überhaupt werden asiatische Menschen in westlichen Gesellschaften als die ‘ewig Fremden’ gesehen, die nach Asien gehören, egal seit wie vielen Generationen sie bereits in nicht-asiatischen Ländern leben oder was für einen gesellschaftlichen Status sie erreicht haben. Dieser Sachverhalt lässt sich nicht nur in den USA beobachten sondern genauso auch hierzulande. Man denke beispielsweise an den ehemaligen FDP Politiker Philipp Rösler, der immer wieder mit Rassismus konfrontiert wurde.

Ich kann davon ein Lied singen. Ich habe ein relativ hohes Bildungsniveau und genieße zahlreiche Privilegien und habe mich dadurch, dass ich die meiste Zeit in Deutschland aufgewachsen bin ziemlich assimiliert, zeitweise auch indem ich meine eigene Geschichte und Identität abgespalten oder abgewertet habe. Aber letzten Endes, ist es wirklich egal was ich mache und wie angepasst und assimiliert ich mich verhalte, ich könnte meine Seele an den Teufel verkaufen (und für Volkswagen arbeiten – der deutsche Konzern, der rassistische Insta-stories postet und auf eine düstere Nazi-Vergangenheit zurückblickt oder zur AFD gehen), ich würde dennoch weiterhin im Alltag diskriminiert werden und bescheuerten Fragen Rede und Antwort stehen müssen.

‘Erfolgreiche Integration’ ist aus meiner Sicht – einer Person, die in Deutschland geboren ist, ein deutsches Elternteil hat, akzentfrei Deutsch spricht, einen deutschen Namen, und einen deutschen Pass hat – die reinste Farce. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass es als POC gar keinen Sinn macht, sich ‘anzupassen’ (außer ihr wollt euch einmal von Kopf bis Fuß um-operieren lassen) und es die Mehrheitsgesellschaft ist, die diese Diskussion haben muss und sich in ein neues Paradigma integrieren muss.

Das traurige und schockierende Ereignis in Atlanta wirft wieder einmal dringende Fragen auf. Wie weit sind wir als Gesellschaft wirklich? Wie viele Rassismen und Sexismen tragen wir in uns und sind wir uns dieser bewusst? Wie normalisiert sind Rassismus, Sexismus und Gewalt in unserer Gesellschaft? Was können wir als Gesellschaft und Individuen dafür tun, dass so etwas nicht mehr passiert?

Wie geht es euch damit? Hat euch das Ereignis auch so schockiert und emotional mitgenommen wie mich? Nehmt ihr ähnliche Vorurteile gegen asiatische Menschen wahr oder habe ich etwas vergessen? Wie seht ihr die Zukunft?