Das Phänomen der alten Jungfern ‘Leftover Women’ (wörtlich übersetzt ‘Restfrauen’) hat in den letzten Jahren zunehmend auch in der westlichen Welt Bekanntheit erlangt. Was in China vielerorts noch unhinterfragt bleibt, trifft in einem progressiven urbanen Umfeld auf starke Kritik. Der wenig schmeichelhafte Begriff der ‘Restfrauen’ (Sheng nü) ist der chinesische Begriff für Frauen, die mit 27 noch nicht verheiratet sind. Wie es dazu kam erfahrt ihr in der folgenden stark vereinfachten Darstellung der Problematik.
China hat ein demografisches Problem. Der politische Eingriff in die Bevölkerungsstruktur Chinas mit Hilfe der berühmt berüchtigten ‘Ein-Kind-Politik’ und die höhere Wertung von Männern in der chinesischen Kultur haben dazu geführt, dass China einen massiven Männer Überhang hat (Mädchen wurden oftmals abgetrieben). Zusätzlich sind viele Frauen in den letzten Jahren dem Arbeitsmarkt beigetreten, sind qualifizierter und gebildeter denn je zuvor, und fordern zunehmende Gleichberechtigung und Gleichstellung. Der rapide wirtschaftliche und soziale Wandel hat somit zusätzlich ein erhebliches Ungleichgewicht geschaffen. Da Frauen in China traditionell ‘hoch heiraten’ und der Mann die ‘Versorgerrolle’ übernimmt, haben gebildete Frauen mit hohem Einkommen bei der Partnersuche schlechte Chancen, während eine wachsende Anzahl an wenig gebildeten Männern ebenfalls keine Frau finden. In einem Land wie China sind Einkommen bzw. Sozioökonomischer Hintergrund wesentlich für die Partnersuche, nicht umsonst gehört die Frage nach dem Gehalt zum Small-talk.
Der Pärchenmechanismus funktioniert also auf Makro-Ebene so: A Männer suchen sich B Frauen, B Männer suchen sich C Frauen. A Frauen gehen also leer aus und C Männer gehen leer aus. Zwischen emanzipierten, gebildeten A Frauen aus der Stadt und C Männern mit niedrigem Bildungsstand und geringem Einkommen vom Land liegen aber Welten und so finden diese niemals zueinander. Mit fortschreitender wirtschaftlicher Entwicklung gibt es nun auch zunehmend mehr Paare die ohnehin keine oder nur wenige Kinder wollen. Da die Bevölkerung also stark zurückgeht und wenig Nachwuchs nachkommt, der das Wirtschaftswachstum stabil hält, hat die Regierung die ‘Ein-Kind-Politik’ bereits eingeschränkt und ist auf die glorreiche Idee gekommen gebildete und emanzipierte Frauen, deren Priorität Bildung und Karriere sind, den Titel der ‘Restfrauen’ (‘leftover women’, ’Sheng nü’, gleichbedeutend zur dt. ‘Alten Jungfer’ als Pejorativ) zu verpassen um diese Frauen unter Fortpflanzungsdruck zu setzen.
Als Restfrau gilt also wer über 27 ist und noch nicht verheiratet ist. Der Begriff unterstellt Frauen eine Unfähigkeit darin einen Partner zu finden. Eltern und Verwandte, die oftmals eine viel traditionellere Weltanschauung vertreten, üben also ab Mitte 20 Druck auf ihre erwachsenen Kinder aus und mischen sich als Verkuppler in das Privatleben ein. Dieses gesellschaftliche Label will sich nicht jede aufdrücken lassen und es gab bereits einiges an (satirischem) Gegenwind in den letzten Jahren.
In diesem YouTube Video von Mamahuhu herrscht verkehrte Welt. Die Kriterien anhand derer der Wert von Frauen (hier Männern) ermittelt wird, werden hervorgehoben und ad absurdum geführt (Zum ansehen englische/deutsche Untertitel einstellen).
Off the Great Wall erklärt das Konzept und erläutert im Detail, wie es zu dem Begriff kam.
Diese Broadly Doku gibt einen Einblick in das Thema und beleuchtet verschiedene Perspektiven
Update: Vor kurzem hat Arte die Doku ‚Chinas ungeliebte Frauen‘ über das Phänomen herausgebracht. Der Kontrast zwischen den Generationen und der Stadt-Land Bevölkerung kommt in der Doku gut zum Vorschein. Sehr sehenswert!
Was denkt ihr darüber? Kanntet ihr das Konzept der Restfrauen schon?