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Es ist soweit. Gestern wurden in Deutschland bereits erste offizielle Ausgangsbeschränkungen (in meinem Fall Bayern) verhängt und Italien meldet mehr Tote als China am Peak ihres Ausbruchs. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat vor ein paar Tagen Europa zum Epizentrum des Coronavirus-Ausbruchs erklärt und nicht zuletzt hat auch unsere Kanzlerin in einer Fernsehansprache an die Disziplin der Bevölkerung appelliert. Während Europa das Schlimmste vermutlich noch vor sich hat, haben einige ostasiatische Länder wie China und Südkorea die Ausbreitung des Viruses bereits unter Kontrolle. Abgesehen von den unmittelbar getroffenen Maßnahmen in Asien, gibt es auch zugrunde liegende kulturelle, politische und historische Gründe für den raschen Eingriff der Regierungen und die effektive Eindämmung der Epidemie, auf die ich im folgenden Beitrag eingehen möchte.

Flucht aus Großbritannien

Ein bißchen über meine persönliche Situation: Da meine Uni letzte Woche die Umstellung auf Online-Unterricht verkündet hat, habe ich kurzerhand die Flucht aus London ergriffen. Ich hatte befürchtet, dass es mir in meinem kleinen Wohnheimzimmer bei einem Lockdown schnell zu eng werden würde und hatte bereits einige Tage lang in den Supermarktregalen kein Klopapier mehr gesehen. Das und meine dystopischen Vorstellungen von dem was noch kommen könnte hat gereicht um mir zügigst ein Flugticket zu buchen. Better safe than sorry. Zahlreiche KommilitonInnen haben ebenfalls das Land verlassen um zu ihren Familien zurückzukehren. Einige haben geäußert, dass die Situation in London vermutlich schlimmer als in ihren Heimatländern werden würde.

Leere Regale in GB

GB hat bereits jetzt schon drei-viermal mehr Tote als Deutschland, jedoch ist nach wie vor nicht ganz klar wie kritisch die Situation ist, denn in Großbritannien wird nicht annähernd genug getestet und somit kann die Dunkelziffer der Infizierten sehr hoch sein. Die britische Regierung hat lange Zeit nicht reagiert und keine Maßnahmen getroffen, denn sie hat bis letzte Woche noch, als einziges Land, die Strategie der “Herdenimmunität” verfolgt, eine Strategie in der sich der Großteil der Bevölkerung infizieren soll um eine weitere Ansteckungsgefahr zu senken. Nach jahrzehntelangem Kaputtsparen des National Health Service (NHS), dem Nationalen Gesundheitsdienst, und mit 6.6 Betten/100.000 EinwohnerInnen ein riskanter Ansatz (Zum Vergleich: Deutschland an 1. Stelle in Europa mit 29.2 Betten). Nach heftiger Kritik von Wissenschaftlern, Regierungen anderer Länder und der WHO, sah sich GB in den letzten Tagen gezwungen schnell eine Kehrtwende zu vollziehen. Seit gestern sind Geschäfte, Lokale, Pubs und andere öffentliche Orte geschlossen.

Politische Maßnahmen ostasiatischer Länder

Während wir in Europa also zur Erkenntnis kommen, dass unsere Ressourcen und Kapazitäten zur Bekämpfung und Eindämmung des Viruses überlastet sein könnten, scheinen ostasiatische Länder das Virus langsam unter Kontrolle zu bringen. China hat mit drakonischen Maßnahmen, strengen Reisebeschränkungen, und Einschränkungen des öffentlichen Lebens den Ausbruch eindämmen können, und wurde bereits vielfach dafür gelobt. Ein politischer Top Down – Ansatz bei dem die Einschränkung der Freiheit des Einzelnen im Sinne des Allgemeinwohls nichts Ungewöhnliches ist, war sicherlich hilfreich bei der Mobilisierung der Bevölkerung und der Umsetzung der Maßnahmen. Kritik ist dennoch angebracht, denn der Arzt Dr. Li Wenliang, der das Coronavirus entdeckte und darauf aufmerksam machte, wurde zunächst von Sicherheitskräften der Regierung zum Schweigen gezwungen. Das Ganze kam natürlich wenig später mit dem Ausbruch der Epidemie ans Licht und löste innerhalb des Landes und international einen riesigen Shitstorm aus.

Coronavirus Arzt Li Wenliang

Aber Freiheit und Gesundheit bzw. Sicherheit müssen nicht im Widerspruch stehen. Länder wie Südkorea, Taiwan und Singapur sind weitere Musterbeispiele für den Umgang mit dem Virus. Diese Länder haben sich zwar auch einiger Tracking-Maßnahmen bedient, aber sich auch sehr stark auf das Testen, eine transparente Berichterstattung und die Kooperation einer gut informierten Bevölkerung, verlassen. Yuval Noah Harari stellt fest, dass wenn Menschen über die wissenschaftlichen Fakten aufgeklärt werden, ihren Regierungen vertrauen, und gut informiert und eigenverantwortlich sind, kann das viel wirksamer sein als eine Bevölkerung die überwacht und kontrolliert wird. Immerhin waschen wir uns ja auch im Alltag oft die Hände, ohne, dass die Polizei daneben stehen muss.

Kulturelle Unterschiede im Umgang mit der Pandemie

Mehrere meiner asiatischen KommilitonInnen haben mich bereits gefragt warum EuropäerInnen keine Masken tragen würden, denn das sei für viele von ihnen selbstverständlich. Wer in letzter Zeit an Verkehrsknotenpunkten oder touristischen Orten unterwegs war, wird vielleicht beobachtet haben können, dass nahezu alle AsiatInnen dieser Tage Mundschutz tragen. Auch sind viele überzeugt, dass diese Pandemie Europa noch härter treffen wird und asiatische Länder nun sicherer sein werden. Meine KlassenkameradInnen haben aufgrund des Andrangs überteuerte Flüge zurück nach Asien gebucht und rechnen damit im Heimatland angekommen in Quarantäne zu müssen.

Tatsächlich könnte man in Europa von einem kollektiven Verharmlosen der Pandemie sprechen, bedenkt man die zahlreichen Corona Parties und wie viele Menschen trotz offizieller Warnungen in den letzten Tagen noch unterwegs waren und sich mit FreundInnen und Familie getroffen haben. In Europa gehört dieser Luxus, wie wir jetzt vermutlich merken werden, zum Alltag und wir können nur schwer darauf verzichten. Wir kennen derartige Situationen einfach nicht und finden es schnell mal übertrieben oder paranoid, wenn jemand Mundschutz trägt oder deshalb zu Hause bleibt.

Das Tragen von Mundschutz ist hierzulande eher kontrovers und wird kaum empfohlen. Jedoch verringert ein Mundschutz klarerweise die Gefahr der Fremd- und Selbstansteckung. Wenn es nutzlos wäre, dann müsste das medizinische Personal in der Schlussfolgerung ja auch keinen Mundschutz tragen. Dennoch ist die Situation in Europa eine andere. Zum Einen haben bereits Krankenhäuser und Praxen hierzulande nicht genug medizinische Schutzkleidung und Verbrauchsmaterialien, und somit macht es vermutlich keinen Sinn medizinische Gesichtsmasken für den Privatverbrauch zu hamstern (Einfach zuhause bleiben!). Zum Anderen sind Europas Städte längst nicht so dicht besiedelt wie asiatische Metropolen. In ostasiatischen Metropolen fehlt oftmals der Platz, Menschen sind an öffentlichen Orten dicht aneinander gedrängt, und haben darüber hinaus ein ganz anderes Gefühl in Bezug auf den ‘angemessenen Abstand’ zur nächsten Person. In einem solchen Szenario, kann konsequentes Mundschutz-Tragen der breiten Bevölkerung das Risiko einer Ansteckung tatsächlich minimieren.

Das Bewusstsein über Epidemien in Asien ist, nicht zuletzt aufgrund der jüngeren Geschichte, ein ganz anderes als hierzulande. Geschichtlich gesehen ist die letzte große Epidemie in Europa, die spanische Grippe, etwa 100 Jahre her. Ostasien hat allein in den letzten 20 Jahren mit SARS, MERS, H1N1 mehrere große Epidemien hinter sich. Regierungen und BürgerInnen haben daraus gelernt und konnten für solche Fälle in der Vergangenheit bereits Kompetenzen aufbauen und kennen die Abläufe.

Mundschutz

Gesellschaftlicher und globaler Zusammenhalt

Auch wenn wir jetzt alle erstmal für eine Weile zuhause rumsitzen werden, zeigt uns diese Krise auf woran wir als Einzelne, als Familie, als Gesellschaft und als eine globale Gemeinschaft noch arbeiten müssen. Das zeigt sich allein schon daran, dass die günstigen Produkte in den Supermärkten vergriffen sind, es auf geringem Wohnraum deutlich schwerer ist sich wochenlang zu isolieren, und Menschen mit Zeitarbeitsjobs (Gig worker, zero-hour contracts) von Armut und Obdachlosigkeit bedroht sind, da sie kaum soziale Sicherheit haben und ohne Arbeit ihre Mieten und ihren Unterhalt nicht weiter zahlen können.

Ganz konkret zeigen sich diese sozialen Unterschiede auch an den Erkrankten. Während junge, gesunde Menschen ein geringes Risiko haben bei einer Infektion Komplikationen zu erleiden, kann eine Infektion für ältere Menschen oder Menschen mit zugrundeliegenden Erkrankungen ernsthafte Folgen haben. Wir dürfen uns daher nicht auf den Lorbeeren unseres Gesundheitssystems ausruhen und leichtsinnig Risiken eingehen, denn es trifft dadurch die schwächsten in unserer Gesellschaft.

Auch als globale Gemeinschaft ist jetzt Zusammenarbeit gefragt, denn auch wenn westliche Länder und Asien die Situation in einigen Monaten in den Griff bekommen, kann der Ausbruch der Pandemie in Entwicklungsländern verheerende Folgen, nicht nur für die entsprechenden Länder, sondern auch für die gesamte Welt haben. Die Grenzschließungen der letzten Tage haben gezeigt, dass es keinen Brexit und keine EU-Kritiker für die Disintegration der EU braucht. In Krisenzeiten werden wir zu Einzelkämpfern.

Dabei ist es gerade jetzt wichtig sich miteinander auszutauschen, von anderen zu lernen und sich gegenseitig zu helfen wo möglich. Wir leben in einer wirtschaftlich globalisierten Welt, profitieren im Alltag von einer riesigen Produktauswahl und möchten auch nicht auf den jährlichen Urlaub verzichten. Aber eine derartige globale Krise zeigt, dass Konsum ohne Verantwortung nicht nachhaltig sein kann und wir als Gesellschaft und globale Gemeinschaft niemanden zurücklassen dürfen.

Wie denkt ihr darüber? Wie schätzt ihr die Situation ein? Wie geht es euch? Schreibt gerne in die Kommentare