Ich habe lange hin und her überlegt, ob ich diese Beitragsreihe schreiben und veröffentlichen möchte. Nicht zuletzt, weil es einigen LeserInnen als befremdlich erscheinen mag. Denn meine Erfahrungen mit Identität sind sicherlich höchst subjektiv und lassen sich nicht so ohne Weiteres auf eine andere Person übertragen. Nichtsdestotrotz, denke ich, ist es wichtig sich gegen Sexismus und Rassismus auszusprechen und diesen Diskurs im deutschsprachigen Raum ebenfalls zu führen.
In den USA, die sich als Melting-Pot und Einwanderungsgesellschaft versteht, ist trotz der anhaltenden Diskriminierung, der Diskurs in vollem Gange (für Asian-Americans siehe z.B. Margaret Cho, Ali Wong, Anna Akana, diverse YouTube Channels, und Publikationen). Zugegebenermaßen gibt es in Deutschland und Österreich nicht so viele Menschen mit Migrationshintergrund bzw. mit unterschiedlichen Ethnien wie in den USA, die Migrationsgeschichte hierzulande geht historisch auch nicht soweit zurück wie in Nordamerika, aber de facto sind wir eine Einwanderungsgesellschaft. (Laut Wikipedia ist Deutschland das drittbeliebteste Einwanderungsland der Welt und 19% unserer Bevölkerung hat Migrationshintergrund) Das Traurige: in vielen Teilen unserer Bevölkerung ist die Wahrnehmung (noch) eine Andere.
Die eigene Identität ist ein Thema mit dem ich mich lange und intensiv beschäftigt habe, und mit dem ich mich weiterhin beschäftigen werde, auch weil ich jeden Tag aufs Neue damit konfrontiert werde. Versteht mich bitte nicht falsch, ich bin nicht unzufrieden mit meinem Leben und bin dankbar für all die Privilegien und die Vielfalt, die ich genießen darf, aber ich finde es schlicht und einfach unfair, dass ich mich täglich mit Themen befassen ‘muss’, deren sich andere Menschen in meinem unmittelbaren Umfeld völlig unbewusst sind.
Ich denke nicht, dass “Farbenblindheit” (“Alle Hautfarben sind gleich”) die Lösung sein kann, da wir damit die Augen davor verschließen, welche unterschiedlichen Erfahrungen Menschen in unserer Gesellschaft machen. Und oftmals ist das Argument der Farbenblindheit eine bequeme Aussage um eine intensivere Auseinandersetzung mit Rassismus abzuwürgen. Ich verstehe das, denn Rassismus ist ein unbequemes Thema und ich würde mich lieber nicht damit befassen. Farbenblind können auch nur diejenigen sein, die nie Diskriminierung und Ausgrenzung erlebt haben, denn jede Person, die in der Vergangenheit aufgrund ihrer Herkunft/Hautfarbe etc. diskriminiert wurde ist sich schmerzlich darüber bewusst, dass sie eine “andere Hautfarbe” hat.
Traurigerweise merke ich auch, dass ich mich immer schwieriger tue, mich mit Menschen ohne Migrationshintergrund anzufreunden, da der subjektive Erfahrungsschatz sich so stark unterscheidet und ich oft das Gefühl habe, es würden wortwörtlich Welten dazwischen liegen. Es fühlt sich ein wenig so an, als wüsste ich alles über ihre Welt, aber sie nichts über meine. Ich habe mich in meiner Kindheit gut an mein Umfeld assimiliert, und in dem Ganzen, habe ich ein wenig das Gefühl bekommen meine eigene Stimme verloren zu haben.
Wie ich meine Zukunft im Moment sehe? Ich kann mir nicht vorstellen, mit Ausnahme einiger weniger Großstädte, längerfristig in Deutschland zu leben (Ich lebe im Moment in London). Ich wünschte ich könnte es. Und ich kenne einige Menschen, denen es ähnlich geht. Warum das nicht gut für Deutschland/Österreich sein kann? Um es mit den Worten einer Ökonomin auszudrücken: Human capital flight oder auch Brain Drain – Wenn Humankapital, bzw. gebildete Arbeitskräfte das Land verlassen. Unser Lieblingsbeispiel: Albert Einstein. (Übrigens war ‘Humankapital’ ursprünglich ein positiv konnotiertes Wort.) Zudem bereitet mir der sogenannte ‚Rechtsruck‘, falls man von diesem noch sprechen kann (weil das Establishment gerade auseinander fällt?), Sorgen.
Ich spreche mich also für einen Paradigmenwandel aus und wünsche mir mehr Diskurs und Austausch. Gleichzeitig möchte ich darauf aufmerksam machen, dass wir noch viel zu tun haben in Sachen Rassismus und Sexismus. Deutschland (und Österreich) sieht sich und wird als fortschrittliches Land wahrgenommen, warum also auf diesem Themengebiet hinterherhinken?
Offenkundiger Rassismus
Erst vor Kurzem wurde ich vor einem Club in Bayern von irgendeinem Halbwüchsigen mit “Kannst du Pekingente?!” angesprochen. Und das wars. Einfach nur ‘Outright Racist’. Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass ich mir im 21. Jahrhundert, in einer Gesellschaft mit freiem Bildungszugang, Internet, Welthandel und globaler Migration, noch so etwas anhören muss. Und zwar nicht nur einmal, sondern regelmäßig. Verbale Übergriffe sind nach wie vor keine Seltenheit in meinem Leben, nein, sie sind fester Bestandteil meines Alltags im öffentlichen Raum. Kommentare wie “Japse”, “Tsching-Tschang-Tschong” und ähnlich minderbemittelte Äußerungen sind wirklich keine News mehr für mich, aber ich fühle mich jedes Mal aufs Neue hilflos, bin verletzt und schockiert.
Leider stellt diese Art von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nur die Spitze des Eisberges dar. Es ist der unbedarfte und zweifelhafte Ausdruck der eigenen Identität einiger unangepasster Individuen in einem Zwei-Klassen-System. Diskriminierung, Stereotypisierung und Ausgrenzung von “Andersartigen” oder auch “Fremden” ist weit tiefer in unserer Gesellschaft verankert – und nicht immer offensichtlich.
Alltagsrassismus
Es geht hier um wichtigere Dinge. Wie z.B. wenn mich die Frau auf der Post, sage und schreibe, fünfmal fragt, ob ich nicht schon mal zuvor einen Brief nach Hong Kong geschickt habe. Nein! Nein! Und nochmals Nein! Warum sollte ich? Ich möchte diesen Brief jetzt schicken und es sollte völlig egal sein, ob ich das schon mal gemacht habe! Und nur weil ich asiatisch aussehe, hast du nicht das Recht dazu, mich zu verhören. Oder steht irgendwo in den Geschäftsbedingungen der Post: “Asiatisch-stämmige KundInnen dürfen nur Briefe nach Hong Kong verschicken, wenn sie dies in der Vergangenheit bereits getan haben”??? Arrrrrghhhh! Einatmen, ausatmen. Solche Situationen sind alltäglich – wirklich alltäglich. Deshalb nennt sich das auch Alltagsrassismus. Das klingt jetzt harmlos aber es ist furchtbar frustrierend und nervig. Ich werde aufgrund meines Erscheinungsbildes, sprich meiner Ethnizität, anders behandelt. In manchen Fällen wie diesen sind sie lediglich anstrengend und geradezu befremdlich, in anderen Fällen schlicht und einfach diskriminierend und ungerecht. Es fühlt sich oft ausgrenzend an und ist deshalb nicht harmlos. Rassismus, auch Alltagsrassismus darf nicht verharmlost werden.
Die ein oder andere Person wird sich jetzt fragen, ob das jetzt wirklich so schlimm ist, dass Leute unbeholfene, pseudo-interessierte aber eigentlich ignorante Fragen stellen. Ich persönlich finde es wirklich extremst nervig, aber vielleicht liegt das auch daran, dass es mir ins Bewusstsein ruft, dass der Rassismus in unserer Gesellschaft noch viel tiefer liegt. Das beginnt beim Thema mediale und politische Repräsentation, geht über Benachteiligung am Arbeits-/Wohnungsmarkt und reicht bis hin zum Thema Eurozentrismus und Imperialismus. Aber dazu ein andern Mal mehr.
Was denkt ihr darüber? Erlebt ihr Rassismus/Ausgrenzung/ignorantes Gefrage oder habt ihr das Gefühl wir leben in einer aufgeklärten Gesellschaft? Ich würde mich freuen von den Erfahrungen anderer zu hören, schreibt gerne in die Kommentare!
Als Ausländerin kann ich sagen, dass ich das schob lange ganz normal finde (Alltagsrassismus). Ich nehme es auch nicht mehr so extrem ernst, ich sehe es viel optimistischer.
Das heißt, wenn es passiet zum Beispiel von Deutschen (mehrheitlich). Ok, können die doch machen, wenn es nicht körperlich wird.
Aber der Unterschied ist, dass man selbst nicht so sein wird gegen andere Menschen. Die meisten Asiaten, die ich kenne, halten sich zurück, denken taktisch nach und verhalten sich besser als die Deutschen.
So ticken fast alle meine asiatischen Freunde und einige andere Ausländer in Deutschland und im Allgemeinen bleiben meine Freunde mehr unter sich, z.B. in der asiatischen Community.
Ich bin ehrlich, egal wo ich in Deutschland lebe, verstehe ich mich am besten mit Asiaten und anderen Ausländern.
Mit Einheimischen (Deutschen) eigentlich nur, wenn die selber ein Partner/in als Ausländer haben oder irgendwie mit der asiatischen Community vertraut sind. Wenn nicht, dann nicht.
Mir ist auch aufgefallen, dass in meinem ausländischen Freundeskreis viele brisante Themen diskutiert werden können. Man hört zu, ohne gleich in irgendwelche Schubladen gesteckt zu werden.
Es gibt so viel mehr, was ich sagen kann, na ja, egal. Das Endergebnis war immer die gleiche Zeitverschwendung. Es schadet nur der Lebenskraft. Wer wirklich Interesse zeigt, kommt irgendwann zu einem.
Die Informationen oder Probleme (alltäglicher Rassismus) sind für die Deutschen seit Jahren bekannt, aber dann noch so verharren zeigt mir, dass die wie kleine Kinder sind. Die reden viel und können sehr anstrengend, aber sind meist harmlos. Aber weil Erwachsene Menschen sind, müssen die für ihre Taten einstehen, siehe Karma.
Hi Bluetee,
Vielen Dank für dein Kommentar und, dass du deine Erfahrungen hier mit uns teilst.
Ja, ich kann das sehr gut nachvollziehen, dass viele dann eher in der asiatischen oder internationalen Community bleiben möchten. Mir geht das auch ein bißchen so obwohl ich in Deutschland geboren wurde. Leider verstehen viele Menschen, die keinen Migrationshintergrund haben nicht wie es ist Rassismus zu erfahren und wie „alltäglich“ das tatsächlich ist. Ich habe das Gefühl, dass dadurch dann leider auch eine Art Distanz entsteht.
Ich lasse das vielleicht manchmal zu nah an mich rankommen und versuche zu lernen damit ‚besser‘ umzugehen. Und stimme dir zu, dass es wichtig ist optimistisch zu bleiben.
Alles Liebe,
Mona
Toller Beitrag. Es wird Zeit, dass wir uns in Deutschland mit diesem Thema auseinandersetzen. Ich habe schon als Kind festgestellt, dass ich Freundschaften mit Menschen ohne Migrationshintergrund nicht aufrechterhalten kann. Es ist frustrierend und erschöpft mich, dass man gewisse Themen nicht ansprechen kann und viele Erfahrungen einfach nicht nachvollzogen werden können oder man dann hört „ist ja nicht böse gemeint“, „übertreib doch“ etc.
Hi Replica, Danke für dein Kommentar! Ja, ich denke auch, dass es Zeit wird. Seit der Veröffentlichung des Beitrages hat sich einiges getan. Ich finde es toll wieviele Menschen in den letzten Wochen auf die Straße gegangen sind um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen und sich solidarisch zu zeigen. Und hoffe darauf, dass das Thema nicht sofort wieder ‚untergeht‘, sondern damit ein Diskurs angestoßen wird, der zu nachhaltiger Veränderung führt.